B. Interview - Über Angst und Meditation
- Du möchtest mit dieser Pilgerreise auch ein Zeichen gegen die Angst setzen, von der viele Menschen während der Corona-Pandemie ergriffen werden. Heißt das, dass du die Ängste der Leute nicht ernst nimmst?
o Ach. Lassen wir das Thema. Die Gräben sind schon so tief.
- Aber es wäre doch verantwortungslos, wenn wir uns nicht gegen Viren, Krankheit und Tod schützen würden? Das gilt auch für dich!
o Natürlich will ich nicht unnötig krank werden und ich habe noch keine Lust zum Sterben. Und natürlich ist ein Virus eine ernste Sache. Aber je nach dem, wie gesund und stabil der eigene Körper ist, wird ein Virus das Immunsystem sinnvoll updaten. Das ist auch natürlich, dass man mal paar Tage flach liegt und sich überhaupt nicht gut fühlt. Falls ich aber noch nicht in der letzten Lebensphase angekommen bin, mein Immunsystem aber trotzdem schwach oder untrainiert ist, sollte ich in meinem Alltag schleunigst einiges ändern. In jedem Fall: Eine so hochgepuschte Situation wie die Corona-Pandemie ist für ängstliche Menschen auch eine Einladung, sich mit den letzten Dingen des Lebens positiv auseinanderzusetzen. Denn wenn wir dieses Mal noch die Pandemie überlebt haben: Wir kommen aus diesem Leben nicht lebend raus. „... Nimm Abschied und gesunde ....“ schreibt Hermann Hesse im Stufen-Gedicht. Ein heilsamer Gedanke, damit ich mein Leben entspannter genieße.
- Ein islamisches Sprichwort lautet „Vertraue Allah und binde dein Kamel fest.“
o Ja, das kann man so sehen. Aber in Bezug auf die Macht der Angst werde ich jetzt „spitz“ sein: Im ersten Jahr der Coronakrise, genau gesagt von Mai bis September 2020, sind in Deutschland laut Statistiken des RKI und des Statistischen Bundesamtes ca. 270x mehr Menschen an Herz-Kreislauferkrankungen gestorben als am Corona-Virus. Das Besondere in dieser Statistik: Ca. 40 x mehr Menschen sind an psychischen bzw. verhaltensauffälligen Phänomen gestorben als am Corona-Virus. Die Statistik kann ich dir gerne zeigen. Was auch immer dir die Auswertung sagt: Ich sehe darin, dass 40x mehr Menschen an unterschiedlichen Angstformen als am Corona-Virus gestorben sind.
- Das klingt alles nicht schön. Der Mensch sollte nicht leiden und sollte sich auch nicht mit Gedanken ans Sterben die Freude am Leben verderben.
o Aber es sind doch Wirklichkeiten in unserem Dasein! Oder sollen wir Leid, Schmerz und Tod ständig diskret unter den Teppich kehren? Anstatt den unausweichlichen Dingen davon laufen zu versuchen, können wir lernen, zuversichtlich mit Leid umzugehen. Todsicher wird unser Körper sterben. Auch unser oberflächliches Ego. Also, lass uns lernen und konstruktiv damit umgehen.
- Kannst du einen nützlichen Tipp aus deinen Meditationserfahrungen nennen?
o Hm, ich bin auch innerlich auf dem Weg. Darum kann das Folgende nicht für jedermann zutreffen – es sind meine bisherigen persönlichen Einsichten. Das grundlegende Schlüsselwort ist, körperliche und geistige Dinge - wie zum Beispiel Ängste - in mir „beobachten“: Einfach beobachten, was an Gedanken und Gefühlen im Kopf auftauchen und die passenden Körperreaktionen dazu wahrnehmen. Dazu ist „geschärfte Konzentration“ wichtig, die man z.B. durch das lang anhaltende Beobachten des natürlichen Atmens trainiert. Wenn wir dann mit geschärfter Konzentration angenehme und unangenehme Dinge in uns wahrnehmen, dürfen wir „nicht reagieren“. Das wird als hohe Kunst angesehen: Unsere inneren Beobachtungen weder zu bewerten noch in Gut & Schlecht einzuteilen und auch nicht Etiketten von Gewollt & Ungewollt draufzukleben. Sobald wir nämlich das Beobachtete in Bewertungskategorien einteilen, beginnen die Probleme. Denn wenn wir reagieren und reine Beobachtung bewerten, bilden sich in unserem Denken automatisch angenehme oder unangenehme Zustände. Dies bewirkt, dass Signale in unseren Körper gesendet werden, die ... ich sage mal „Knoten“ entstehen lassen. Knoten der Abneigung, z.B. „Diesen Zustand will ich nicht!“, aber auch Knoten des Verlangens, z.B. „Dieser Zustand soll so bleiben.“ - Wenn man es schafft, Dinge ohne Bewertungen anzusehen, öffnen sich tiefere Daseinserfahrungen, die sehr schön und wahr und wirklich gut sind. Es ist wohl so, dass es ein oberflächliches ICH in uns gibt, dass das Produkt von Erziehung und tausender eigener und übernommener Bewertungen ist. Und es gibt ein tieferes SELBST, in dem man nicht mehr bewerten kann, sondern sich in zeitlosen wunderbaren Zuständen wiederfindet. – Wenn man mal begonnen hat, solche tieferen Erfahrungen in sich selber zu machen, ahnt man allmählich, dass dieses tiefere Selbst unsere wahre Natur ist. Wenn das oberflächliche EGO stirbt, kann sich unser wahreres Selbst voll entfalten. Man wird/kann das Sterben also auch als Verwandlungsprozess zu etwas Wahrerem sehen.
- Das ist nicht einfach.
o Ja. Es scheint so, dass Menschen sich zu allen Zeiten das Leben unnötig schwer machen. Als Adam & Eva den Apfel vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten, waren sie in der Lage zu sagen, was sie gut finden und was nicht. Aber damit hatten sie den paradiesischen Zustand verloren. Ich würde gerne meinen Apfel wieder zurückgeben können und wäre lieber in der Lage, Dinge nicht mehr zu bewerten, sondern sie nur noch zu beobachten und von ihrer heiligen Tiefe bewegt zu werden.
Dem Seemann hilft Gott, aber steuern muss er selbst :-)
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