E. Interview - Nach mehr als 9 Monaten
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9 Monate sind vergangen. Wie geht es dir körperlich?
o
Manchmal schmerzen die Schultern vom Tragen des Gepäcks;
mit einem professionellen Wanderrucksack wären diese Schmerzen geringer, aber
es stört nur wenig. In der Regenzeit aber, auch als ich neue Sandalen
gekauft hatte, gab es öfters Wunden an den Füßen. Einmal war es so schlimm,
dass ich acht Tage an einem Ort pausierne musste. - Ganz untypisch hatte mich einmal
ein friedlicher Hund gebissen, einfach so. - Ansonsten: Bei den morgendlichen
Fitnessübungen knirschen manchmal ein paar Knochen; das lässt nach ein
paar Wiederholungen aber nach. – Beim Essen ist es so: Wenn es sehr scharf ist,
schmerzt manchmal der Magen. Darum, wenn Leute nach Essenswünschen fragen, bitte ich um weniger Schärfe. - Ansonsten fühle ich mich
kerngesund.
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Und wie geht es mental? Hattest du manchmal
Gedanken, die Reise abzubrechen?
o
Tatsächlich gab es Schwächephasen. Im Sommer sehnte
ich mich ständig nach italienischen Eiscafés und guten Konditoreien. In sehnsuchtsvollen
Gedanken verbrachte ich viele Nachmittage dort und fand meine Reise zu einseitig. – Es gab auch Phasen, in denen
ich das Gefühl hatte, dass es innerlich viel zu wenig oder zu langsam vorangeht. Ich wünschte mir einen echten Guru oder einen verständigen
geistlichen Begleiter, der mir sagen kann, an was ich grade zu arbeiten habe. –
Nun, die Sehnsuchtsphasen nach viel Eis und guten Kuchen habe ich mit
Hilfe von Vipassana überwunden. Und die Sehnsucht nach einem guten Lehrer bzw.
Begleiter ist dem (noch wackeligen) Vertrauen gewichen, dem inneren, ewigen
Lehrer in mir selber vertrauen zu dürfen – sogar vertrauen zu müssen.
o
Es klingt etwas fatal: Da in Deutschland alle Zelte
für mich abgebaut wurden und ich auch sonst keine äußeren Sicherheiten habe,
bleibt mir gar nichts anderes übrig, als weiterzugehen. Diese Not ist also
förderlich. Andersrum gedacht: Die Vorstellung, in Deutschland zu sein und dort auf dem Sofa oder vorm PC zu
sitzen, finanziell vom Staat versorgt zu sein … das fühlt sich zur Zeit überhaupt nicht attraktiv für mich an.
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Also kommst du deiner Erleuchtung näher?
o
Hoffentlich!
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Kannst du etwas beschreiben, was sich auf der
Innenreise zu dir entwickelt hat?
o Das Wichtigste, zumindest am Anfang, war und ist Vipassana: Das achtsame Beobachten, welche Signale der Kopf an den Körper sendet und diese dann wertungsfrei beobachten – das Probleme löst sich dann schichtweise auf. Man kann das “Seelenreinigung” nennen. Die Inder sagen "Aatman shuddhikeren" dazu.
o
Darauf baut sich ein konzentrierteres Wahrnehmen meiner verrückten Gedankenwelt ("Monkey-Mind") auf und das grobe Etikettieren der
entsprechenden Gefühle dazu. Nach und nach merke ich, mehr Herr über meine Gedanken zu sein.
o
Seit Kurzem versuche ich achtsamer auf alle äußeren
Reize zu sein: Bewusster zu sehen, zu hören, zu fühlen
u.s.w. – In den letzten Wochen geschieht es öfters, dass ich langsam esse, auf
die Hand- und Mundbewegungen dabei achte. Und es stimmt: Man isst viel
bewusster – die ganze Situation wird realer und intensiver.
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Und das Vertrauen, dass nichts wirklich Schlimmes passieren
wird, ist nach wie vor fest?
o
Ja. Es wird immer noch fester. Es ist ehrlich, dass ich schon
monatelang keine Sorgen mehr um einen geeigneten Schlafplatz habe. Auch die
Gedanken an das Geld plagen mich kaum noch. Ich bin endlich
auch etwas großzügiger geworden und spende selber öfters etwas. - Mir ist klar
geworden, dass ich im Vergleich zu anderen Suchern den riesengroßen Vorteil
habe, Bettelmönch gewesen zu sein und gelernt habe, Gott wie einem guten Vater
vertrauen zu können.
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Es ist nicht mehr so weit bis Pakistan. Wann denkst
du, die Grenze dorthin zu überschreiten?
o
Ich plane, Anfang 2023
dort anzukommen. Weihnachten möchte ich nochmal im Bodhi Zendo (Tamil Nadu)
verbringen und eine Freundin in Rajasthan treffen.
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Falls alles gut geht: Wann könntest du in
Assisi/Italien ankommen?
o
Bisher war ich langsam unterwegs. Grob gesagt
brauchte ich für 2.000 Kilometer ein Jahr. Bis Assisi sind es noch 7.000-8.000
Kilometer; das bedeutet dann noch weitere 4 Jahre. Das passt mit der Gültigkeit
meines Reisepasses. Aber wie schon früher erwähnt, ist die äußere Reise
zweitrangig. Wichtiger ist, irgendwann wieder rein zu sein und in jeden Lebensmoment mit seiner tiefen, heiligen
Schönheit einzutauchen.
Lieber Ralf,
AntwortenLöschenmöge sich der Weg vor deinen Füßen ebnen,
mögest du den Wind im Rücken haben.
Und bis wir uns wiedersehen möge Gott seine schützende Hand über Dir halten.
Buen Camino
Ronald