3. Bericht - 5.11.21 - Beim Pastorenehepaar

Am nächsten Morgen im Haus des Pastorenehepaares: Man kümmert sich gut um uns - besonders um den 20-jährigen Adarsh, der von zu Hause ausgerissen ist. Er tut mir Leid, weil Umar, die Pastorenehefrau, nicht aufhört, ihm in der Landessprache ordentlich ins Gewissen reden. Sie versucht ihm vor allem klar zu machen, wie seine Eltern sich fühlen. Zwischendurch werbe ich bei ihr um Verständnis für seinen Versuch, sich vom Druck des Elternhauses zu befreien. Der Pastor scheint ebenfalls Verständnis für das Erfahrungssammeln des jungen Abenteurers zu haben. Immer wieder achte ich darauf, wie sich das Alles im eigenen Bauch anfühlt und merke, dass das innere "Selbst" einen wohltuenden Abstand zu halten in der Lage ist.

Nach dem Frühstück fasse ich mir ein Herz und frage Wasan und Umar, ob sie mir die Hände zum Segnen auflegen würden.  Umar animiert Wasan, dass er sich seine feierliche Robe dafür anzieht; selber möchte sie den Segen aber nicht spenden. Dafür überrascht uns Adarsh: Er möchte auch die Hände aufgelegt bekommen und dass der Pastor für ihn betet.


Der Junge hört plötzlich gar nicht mehr auf, uns zu überraschen. In diesem Haushalt funktionieren einige Sachen nicht mehr. Der Kühlschrank steht z.B. schon 8 Monate leer und ungenutzt in einer Ecke - er ist kaputt. Und offenbar hat das Paar nicht genug Geld für die Reparatur.

Adarsh hat Ahnung von Mechanik und guckt sich das Problem an. Wir halten den Kühlschrank hoch und und stecken den Stecker - ohne Verlängerungskabel - in die Steckdose. Da springt das Kühlaggregat an - welch verheißungsvolles Brummen. Nur das Verlängerungskabel hatte nicht mehr funktioniert. Da kein anderes im Haus ist, schneidet Adarsh ein Stück von der  kaputten Verlängerung heraus und integriert es ins Kühlschrankkabel. Ich kann nicht sehen, wie er sich dabei fühlt, aber ich freue mich total für ihn, dass er zeigen kann, was er "kann". Es wird mir klar, dass ich ihn sehr auf seine "komischen Ideen" reduziert und mich weit über ihn gestellt hatte.

Nicht genug damit: Im Badezimmer steht in der Waschmaschine schon längere Zeit das Wasser. Adarsh zieht die Maschine nach vorne, sieht sich das Problem von hinten an und erbittet sich bei Wasan Werkzeug. Er beginnt einen Schlauch zu reinigen. 

Fließendes Wasser gibt es auch schon länger nicht mehr im Haus. Draußen vorm Haus gibt es noch einen funktionierenden Wasserhahn. Mit einem großen Gefäß laufe ich hin und her und fülle große Bottiche im Badezimmer auf. 

Eine halbe Stunde später hat Adarsh auch das Problem mit der Waschmaschine gelöst: Der Abwasserschlauch war verstopft. Umar sagt, dass die Maschine 10 Monate nicht funktionsfähig war. Innerlich lächle ich herzlich: Das Pastorenehepaar hatte gestern an mir und Adarsh ein großzügiges und vertrauensvolles Werk der Barmherzigkeit getan und uns in ihr Haus aufgenommen. Jetzt erfahren sie durch Adarshs handwerkliches Geschick unerwartete Hilfen: Nach 8 bzw. 10 Monaten funktionieren Kühlschrank und Waschmaschine wieder - ihr Vertrauen wurde ordentlich entlohnt.

Aber die nächste Überraschung folgt schon: Adarsh entscheidet sich, nach Hause zurückzukehren. 

Ich bin innerlich überrascht und hätte vermutlich mehr für meine Ausreißerei gekämpft. Aber hier sind die Werte anders. Und heimlich bewundere ich das Predigerpaar, weil ihre eindringlich-bedrängenden Worte die gewünschte Frucht hervorgebracht haben.

Zwar scheint Adarsh selber noch nicht ganz von dieser Wendung überzeugt zu  sein, trotzdem biete ich ihm mein Smartphone an, um seine Familie kontaktieren zu können. Er hat nämlich eine Bedingung: Wenn er zurückkommt, solle sein Vater nicht über das "Thema" diskutieren. 

Zuerst bespricht er das telefonisch mit Freunden. Dann deutet sich ein Problem an: Er hat vermutlich nicht mehr genug Geld für die Busrückfahrt nach Kerala.

Das Pastorenehepaar löst das Problem so: Sie schieben den 500-Rupien-Schein, den ich ihnen am Ende des Frühstücks als Spende überlassen habe, über den Tisch zu Adarsh. - Über einen Mangel an vorbildlichen Lernmöglichkeiten hier in diesem Haus kann ich mich nicht beklagen.

Das Telefonieren mit seinen Leuten dauert lange. Für mich wird klar, dass mein Teil in dieser Geschichte erledigt ist und deute dem Pastorenehepaar meinen Aufbruch an. 

Als Adarsh das Wichtigste am Telefon geregelt hat und er sich für eine Weile zurückzieht, nehmen wir Anderen Abschied. 

 



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