5. Bericht - 7.11.21 - Glück & Pech & noch mehr Glück

 


Die Nacht unter dem Seitendach des verlassenen Hauses war erträglich. Ich hatte die zweite Schlafmatte in den dünnen Schlafsack eingezogen und mich damit zugedeckt, um besseren Schutz gegen die Kälte zu haben. 

Ein fremder Mann taucht am Morgen auf. Er sieht zu, wie ich meine Sachen einpacke. Seine Worte klingen nach "Ich solle hier weggehen". 

Paar Minuten später ist er wieder da, grade, als ich aufbrechen möchte. Er ist jetzt netter und beanwortet meine Zeichensprache-Frage, wo man einen Milk-Tea trinken kann.

Am ersten Tee-Stand bzw. an der ersten Imbissbude gibt es Snacks. Ich bestelle etwas und reinige meine neue Plastikunterlage.

Der Besitzer wundert sich über mein Aussehen und das Gepäck und fragt etwas. Ich ahne den Inhalt seiner Frage und antworte mit Bruchstücken und Gesten.

Als ich bezahlen möchte, winkt er ab - eingeladen.

.........................................................

Bald danach die nächste Tee-Bude: Ich habe jetzt richtig Frühstückshunger und bestelle wieder Tee und einen Snack. Der Junge des Besitzers kommt von hinten heraus und beäugt mich mit schüchternem Lächeln. Ich frage den Besitzer, ob ich ihm einen Zaubertrick vorzeigen kann. Der ist nicht nur einverstanden, sondern sagt irgendetwas, so dass drei Brüder des Kleinen und die Mutter vorkommen und zugucken. Einige andere Gäste gucken aus der Distanz zu.

Auch an dieser Stelle gehe ich weiter, ohne etwas bezahlt haben zu müssen.

.........................................................

Endlose Serpentinen führen den Berg hinunter. Die Strecke bis Palani beträgt auf der Straße 53 Kilometer - das bedeutet bei meinem langsamen Gehtempo 3-4 Tage. 

Leute winken mir kurz von ihrem Motorrad aus zu; Leute am Straßenrand genießen schöne Aussichten und gucken verwundert, wenn ich vorbeigehe. Manche Mutige sprechen mich an und wollen wissen, woher ich komme oder möchten ein Selfie mit mir machen.

.........................................................

Am frühen Nachmittag kommt ein Motorradfahrer entgegen und hält an. Sein Englisch ist nicht gut, aber er ist freundlich und als er von meinen Plänen hört verspricht er, mich auf seinem Rückweg mit nach unten zu nehmen, wo er sich um einen Schlafplatz und Essen für mich kümmern würde. Ich freue mich, bin aber skeptisch.

Eine halbe Stunde später holt er mich ein und nimmt mich mit zu sich. Mit meinem Dank biete ich ihm die Einladung zu einem einfachen Abendessen an.

Nach ca. 5 Kilometern auf dem Moped sind wir bei ihm. Der Schlafplatz auf dem Boden ist einfach, wie in der Nacht zuvor unter dem Dach des verlassenen Hauses. Er muss nochmal weg, zeigt mir aber, wo draußen der Wasserschlauch zum Duschen ist. 

Nach der Erfrischung wasche ich meine Kleider aus. Beim Aufhängen kommt Sarawankumar zurück. 

Die Zeit bis zum Abend ist noch lang. Wir reden über dies und das. Er hat Interesse an Meditation und fragt mich, ob ich ihm Tipps geben kann. 

Ich freue mich über die Anfrage. In den bisherigen zwei Tagen auf diesem Pilgerweg gab es einige Möglichkeiten zum Teilen bzw. Nützlichsein.

Paar Minuten später sitzen wir auf Stühlen voreinander. Ich übe mit ihm das, was ich im Bodhi Zendo und bei Vipassana-Kursen über Konzentration und Achtsamkeit gelernt habe. 

Ich sehe, dass er gut mitmacht. Aber nach paar Minuten wird es zuviel für ihn.

Wir wechseln das Thema. Ich zeige ich ihm einen Zaubertrick; er sagt, dass er alles von mir lernen möchte, was ich an Besonderem könne. Ich wundere mich, dass er plötzlich abbricht, als ich ihm die zwei Plastktrinkröhrchen hinhalte, mit denen er einen magischen Knoten bilden soll.

Danach Jonglieren mit Chiffon-Tüchern. Es gefällt ihm und er möchte es auch lernen. Als ich ihm eine handgroße Frucht von Boden aufhebe, mit der wir die erste Übung machen sollen, bricht er wieder ab.

Er wirkt unruhig. Ich frage nach. Er sagt irgendetwas wegen seiner Mutter, dass sie mit irgendetwas nicht einverstanden sein könnte. Dann bricht es aus ihm heraus: Ich könne nicht hierbleiben!

Ich bin etwas fassungslos. Ich hatte schon das Schlaflager vorbereitet ... und meine nasse Kleidung auf der Leine ... .

So gut es geht versuche ich achtsam auf die heftigen Gefühle zu sein, die grade in mir wirken. 

Nach paar Momenten haben sich dir groben Gefühle im Bauch wieder entspannt. Und ein bisschen Mitleid für ihn taucht auf.

.........................................................

Die Straße nach Palani führt durch endlose Obstgärten, die alle eingemauert sind. Die Sonne geht gleich unter. Hinter einem verschlossenen Tor lässt sich eine Tempelanlage erkennen. Ich rufe, aber außer einem bellenden Hund reagiert niemand.

Als ich weggehe, höre ich, dass das Tor hinter mir geöffnet wird. Ich laufe zurück und erkläre mein Anliegen wegen eines Schlafplatzes. Der Mann mit seinem langen Haar und mächtigem Bart sieht aus wie ein Guru. Er selber guckt mich aber gar nicht an, sondern lässt mich einfach hinein, als ob ich ein Bekannter wäre, nimmt mich mit zum ersten Haus, fegt eine kleine Veranda, säubert einen Stuhl und gibt dann Zeichen, dass ich mich setzen sollte.

Dann erst sagt er etwas.

Er ist Kunstmaler. Auf der Veranda stehen einige seiner Bilder, meist sakrale Motive mit indischen Gottheiten. Alles sieht sehr gekonnt und eindrucksvoll aus. Auch seine Mappe mit Fotos anderer Arbeiten - toll. Seine zwei Söhne unterstützen ihn. Außerdem kümmern sich die drei um ausgesetzte Tiere.

Später kommen die Söhne. Sie bringen Essen mit. Alle sind ruhig und nett. Ich schlafe am Nachbarhaus auf der Terrasse unterm Vordach. Die feuchte Wäsche wird im Nebengebäude aufgehängt. Ca. 20 adoptierte Hunde - freilaufend und angeleint - passen drauf auf.

Am nächsten Morgen nach dem Frühstück etwas Zauberei und eine Segnung mit aufgelegten Händen. 

Zum Abschied überreicht mir der Maler einen neuen Vesti (indisches Wickeltuch) - die Adresse von einem Tempel hinter Palani, wo man gratis übernachten und essen kann - und 100 Rupien. Und ein sehr schönes, warmes Gefühl in mir.


.

Kommentare