22. Bericht - 28.11. - Vorbild & Spiel mit der Wahrheit

Ich habe lange im Tempel der Priesterfamilie geschlafen. Am nächsten Tag geht es mir dennoch nicht gut. Benebelt trotte ich durch leichte Regenschauer Richtung Aliyar-Damm. Jemand hatte mir eine Adresse aufgeschrieben und gesagt, dass es dort einen Tempel gäbe, in dem man als Pilger mehrere Tage kostenfrei verbringen könnte.

Als ich dort ankomme, staune ich über die große ästhetische Anlage und gute Organisation des "Tempel of Conciousness". Im Eingangsbereich der Rezeption hängt ein Gemälde des Gründers Vethathiri Maharishi. Im Herzen berührt mich seine Ausstrahlung. Ich glaube noch nie ein Bild eines Menschen gesehen zu haben, dem ich mich so nah fühlte. Das Besondere ist das schöne Lächeln in seinem ganzen Gesicht. – Etwas lädt mich ein, diesem Gesicht ähnlich zu werden.


Vethathiri Maharishi


Aber es gibt eine unangenehme Überraschung: Man kann hier nicht kostenfrei wohnen. Das Minimum sind 500 Rupien pro Tag incl. Verpflegung in einem 7er-Zimmer. Und noch ärger: Es gibt Fragen wegen meines Visum-Status, der gerade nicht den aktuellen Anforderungen entpricht. Dazu werde ich sogar zum Verwaltungsleiter begleitet, der Besuch von einer nahestehenden Familie hat, die mich am Nachmittag beim Pilgern auf der Straße sahen. Aber ich erzähle ihnen nicht die Wahrheit - nicht die aktuelle Wahrheit, sondern die Wahrheit, die vor 10 Tagen abgelaufen ist. Der Verwaltungsleiter gewährt mir eine Nacht auf Kosten des Hauses; später solle ich mit einem Verantwortlichen sprechen, der für die Kontakte mit den Nicht-Indern zuständig ist.

Als ich rausgehe und mit einem chicen Batterie-Auto zu meinem Unterkunftsgebäude gefahren werde, fühle ich mich richtig mies! Die Halbwahrheit eben macht sich als schmerzhafter Knoten im Unterleib bemerkbar. Es ist erstaunlich, wie unangenehm deutlich und schmerzlich sich Spiele mit Halbwahrheiten körperlich auswirken.

Wenig später sitze ich in der großen Meditationshalle und schaue diesen neuen inneren Knotensalat an. Auch versuche ich den Sorgen wegen des ungeklärten Visum-Status nachzuspüren.

Es hilft. Das bloße Beobachten der inneren Realität funktioniert. Dank sei Buddha und der Vipassana-Technik. Nicht nur, dass ich später beim Ausländerbeauftragten mit froher Leichtigkeit meine Halbwahrheit beichte, sondern wegen der Aufenthaltsfrage incl. Konsequenzen macht sich Zuversicht bemerkbar.

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